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Diözesanverband Rottenburg-Stuttgart

Festgottesdienst zum 125 jährigen Bestehen des KAB Diözesanverbandes Rottenburg-Stuttgart

Predigt von Ordinariatsrätin Frau Karin Schieszl-Rathgeb zum Thema Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch soziale Gerechtigkeit.

OR Karin Schieszl-Rathgeb

Predigt – Diözesanversammlung der KAB

Klosterkirche Untermarchtal

Evangelium: Lukas 10,1–9

Liebe Schwestern und Brüder,

liebe Freundinnen und Freunde der KAB,

in dieser Woche beginnen bei uns die Sommerferien. Man spürt es: in der Luft, in den Straßen, in der Seele. Die Gedanken weiten sich, der Alltag tritt einen Schritt zurück. Viele machen sich auf den Weg – in ferne Länder oder einfach nur in den Garten. Und viele spüren: Jetzt ist die Zeit, um loszulassen.

Reinhard Mey (Agnostiker/Theologe) hat dieses Lebensgefühl in ein Lied gegossen:

„Heute häng′ ich ab, heut’ cool ich down /

Heut′ werd’ ich nicht weiser, heute werd’ ich braun.

Ich will es heut′ nicht politisch korrekt,

Ich will heut’ einfach nur, dass es mir schmeckt.“

Man könnte meinen: das ist ein Lied der Trägheit. Ich finde - es ist vielmehr ein Lied vom Menschsein.

Von der Freiheit, einmal nicht leisten zu müssen, um wertvoll zu sein.

Ein Lied von der heilsamen Unterbrechung – und vielleicht auch von der Frage:

Was ist wirklich wichtig?

Und in genau dieses Fragen hinein spricht heute das Evangelium.

Mit einem Satz, der klar, knapp und kompromisslos ist:

„Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht auf seinen Lohn.“ (Lk 10,7)

Gerade haben wir von Leo gehört. In mir klingt das, was er uns sagten wollte, noch nach.

Leo, 27 Jahre alt, Fahrradkurier bei Lieferando. Seit zweieinhalb Jahren unterwegs – immer dann, wenn andere Feierabend haben: abends, am Wochenende, an Feiertagen.

Und er sagt:

„Wenn man, so wie ich, im Niedriglohnbereich arbeitet, ist es mit der gesellschaftlichen Teilhabe grundsätzlich nicht weit her.“

Ganz nüchtern beschreibt er eine Arbeitswelt, in der der Mensch zu wenig zählt.

Keine Zuschläge an Feiertagen. Kein Tarifvertrag. Kein sicherer Rahmen. Und wenn er Freunden davon erzählt, erntet er ungläubiges Staunen:

„Wie? Nicht mal an Feiertagen? Das steht doch so im Gesetz!“

Aber Leo weiß: Es steht eben nicht im Gesetz. Es müsste verhandelt, abgesichert, erstritten werden.

Was ihn antreibt, ist nicht nur das Gehalt. Es ist das Gefühl, außen vor zu sein. Am Rand. Nicht ganz dazugehörig.

Und dann sagt er diesen einen Satz, der hängen bleibt:

„Wenn wir schon zum Beispiel an Ostern unsere Familien versetzen müssen, weil die Arbeit mal wieder ruft, dann doch wenigstens für ein Gehalt, mit dem das Osterfest gebührend nachgeholt werden kann.“

Gerade an Ostern, dem Fest, das daran erinnert, dass Gott und ein anderes Leben zugesagt hat.

Leos Stimme steht exemplarisch – und sie steht nicht allein.

Auch hier in der Region erleben viele Menschen Umbrüche und Unsicherheit:

In der Automobilindustrie, wo Digitalisierung, Elektromobilität und globale Konkurrenz ganze Berufsfelder verändern.

In der metallverarbeitenden Branche, wo sich Arbeitsrhythmen, Anforderungen und Sicherheit verschieben.

Jetzt ganz bald wieder schuften Erntehelferinnen und Erntehelfer unter oft harten Bedingungen auf unseren Feldern – auch jetzt, während andere Ferien machen. Ihre Arbeit ist essenziell für unser tägliches Brot – und doch sind ihre Rechte oft prekär, ihr Schutz ungenügend, ihr Lohn niedrig.

Global gesehen arbeiten Millionen in der Textilindustrie unter Bedingungen, die keine Wahl lassen – Akkord, Druck, fehlender Schutz.

Und auch im digitalen Raum entstehen neue Formen von Unsichtbarkeit:

KI-Systeme werden mit menschlicher Arbeitskraft trainiert – von Menschen, die stundenlang Bilder markieren, Inhalte prüfen, Sprache sortieren. Oft für sehr geringe Löhne, unter großem Zeitdruck, in Ländern des globalen Südens.

Was sie leider verbindet, ist das Gefühl, dass ihre Arbeit vielleicht sogar gesehen wird – aber aller meistens nicht gewürdigt.

Und die Frage:

Zählt meine Arbeit eigentlich nur, wenn sie verwertet werden kann? Oder auch, weil ich Mensch bin?

Jesus selbst hat Arbeit, Menschenwürde und sozialen Frieden miteinander verbunden.

Er hat Fischer, Handwerker, Tagelöhner und Zöllner in die Mitte gerufen –

nicht, weil sie nützlich waren, sondern weil sie Menschen waren.

Wer arbeitet, so sagt Jesus, ist seines Lohnes würdig –

aber auch seiner Würde, seiner Zeit, seines Friedens.

Und genau diese Linie führt weiter – in die Soziallehre.

Papst Leo XIII., der Begründer der katholischen Soziallehre, schrieb schon 1891 in der Enzyklika „Rerum novarum“:

„Es ist wider die Gerechtigkeit, einem Menschen weniger zu geben, als er verdient.“

 

Er sprach über die Arbeiter seiner Zeit – in den Fabriken, auf dem Feld, in prekären Verhältnissen.

Und er setzte ein Gegengewicht zu einer Logik, die Leistung misst, aber Würde vergisst.

Was er formulierte, ist bis heute Fundament:

Arbeit ist nicht nur Broterwerb. Arbeit ist Ausdruck der Menschenwürde.

 

Auch das Evangelium, das wir gerade gehört haben, bleibt in seiner Botschaft nicht abgehoben. Es wird ganz irdisch.

Jesus sendet seine Jünger aus – im Zweierteam (Lk 10,1). Ohne Besitz, ohne Rückversicherung. Mit leeren Händen, aber mit einem großen Auftrag. Nämlich: Frieden zu bringen.

Und er sagt:

„Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche, keine Sandalen. – Wenn ihr in ein Haus kommt, sagt zuerst: Friede diesem Haus! – Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht auf seinen Lohn.“

Jesus sagt sogar: Er ist es wert! Hier schwingt die Frage nach würdiger, nach guter Arbeit und der menschlichen Würde und sozialem Frieden mit!

 

Was Jesus hier sagt, soll seinen Jüngern Orientierung geben.

Denn: Sie gehen nicht im eigenen Namen. Sie gehen für das Reich Gottes.

Und sie gehen auch als Bedürftige, als Menschen mit Bedürfnissen.

Doch gleichzeitig macht Jesus klar: Wer für andere da ist, wer sich einsetzt, wer etwas beiträgt, der gibt nicht nur etwas, sondern: der hat ein Recht darauf, gut behandelt zu werden.

Nicht aus Gefälligkeit, sondern aus Gerechtigkeit.

In politischen Debatten wurde zuletzt zum Beispiel auch viel über das Bürgergeld gesprochen.

Doch bei aller Diskussion um Sanktionen oder Anreize: Die eigentliche Frage lautet auch hier nicht: Wer bekommt wie viel?

Sondern:

Wie ermöglichen wir Teilhabe, die durch gute Arbeit entsteht?

 

Denn echte Teilhabe geschieht nicht durch Formulare.

Sie geschieht durch Arbeit, die einen Menschen trägt. Die ihn aufrichtet. Die ihn in die Mitte der Gesellschaft stellt.

Damit das gelingt, braucht es Sicherheit, klare Regeln, Tarifverträge, faire Löhne.

 

Arbeit soll nicht klein machen – sondern groß.

Auch unser neuer Papst trägt den Namen Leo, wie unser Fahrradkurier und der Arbeiterpapst.

Ein Name, der erinnert – an die Tradition der Kirche, an die Verpflichtung für soziale Gerechtigkeit.

Leo IV. hat ganz am Anfang nach seiner Wahl gesagt:

„Die Fragen der Gerechtigkeit wandeln sich – aber die Würde des Menschen bleibt.“ Diesen Satz finde ich wirklich stark.

Er spricht über Dinge wie: Plattformarbeit, neue Unsicherheiten, digitale Prekarität – und betont:

Die Kirche darf nicht schweigen, wo Menschen vergessen werden.

 

Drei Leos also. Drei Anwälte für Soziale Gerechtigkeit.

Leo, der fährt.

Leo XIII., der das Thema „gute Arbeit“ erstmals im Kontext der Industrialisierung auf die kirchliche Agenda packte.

Leo XIV., unser Papst für die nächste Etappe, der daran anknüpft und die Gedanken der katholischen Soziallehre endlich weiterdenkt. Genau hier braucht es Euch: die Ideen der KAB und der Betriebsseelsorge.

Und über allen: Jesus.

Der heute so stark sagt:

„Wer arbeitet, ist seines Lohnes wert.“

Vielleicht nehmen wir dieses Wort Jesu mit hinein in die kommenden Wochen –

dorthin, wo wir uns aufhalten: am Meer, in den Bergen, in Städten, im Wald oder einfach daheim.

Die Ferien sind eine Zeit, in der wir loslassen. Aber vielleicht ist sie auch eine Zeit, in der etwas in uns wächst.

Ein Gedanke. – Oder die Frage:

Was bin ich bereit zu tun – damit dieser Satz Jesu Wirklichkeit wird?

Nicht nur auf dem Papier.

Sondern im Betrieb. Auf dem Lohnzettel. Und in meinem Herzen.

Und wenn dann der Sommer vergeht, wenn der Alltag wieder beginnt –

vielleicht kehren wir nicht nur zurück, sondern auch ein Stück verwandelt.

Mit dem Evangelium im Gepäck.

Mit dem Mut, neu zu denken.

Mit einem wachen Blick für das, was zählt.

Oder wie Reinhard Mey es so treffend und zärtlich singt, dass ich es Ihnen nicht vorenthalten will:

„Morgen bringe ich die Dinge wieder ins Lot

Morgen ruder ich euch wieder das Rettungsboot

Morgen mach′ ich sofort die Welt wieder besser

Morgen schwimm’ ich wieder jedem Haifisch ins Messer

Morgen öle ich euch wieder die Maschine

Morgen such′ ich wieder jede einzelne Mine

Morgen geh’ ich für euch wieder durch freundliches Feuer

Aber heute zünde ich erst noch meine ganze Heuer

Heute freu′ ich mich einfach nur zu überleben

Und erlaub’ ich mir, mir die volle Breitseite zu geben.“

Liebe KAB-ler:innen, liebe Schwestern und Brüder: Ich wünsche Ihnen und Euch einen schönen Sommer! Amen.

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